Ein Jugendlicher wird von der Polizei erschossen, und Griechenland steht in Flammen. Wenn Hellas in Flammen steht, dann berichten auch die internationalen bürgerlichen Medien, die sich ansonsten höchstens um eine durch Generalstreiks beeinträchtigte Abwicklung von Touristenflügen kümmern oder kitschige Bilder einer schneebedeckten Akropolis als »Sensation« um den Erdball jagen. Von »blinder Randale«, von »Gewaltorgien der Chaoten« ist die Rede. Die Frankfurter Rundschau beispielsweise sprach garvon einem »Land im Bürgerkriegszustand«, gerade so, als wenn Bevölkerungsgruppen aufeinander losgingen und nicht Jugendliche gegen Staatsgewalt kämpften. Der Athener Stadtteil Exarcheia, ein von Anarchisten und Libertären geprägtes Viertel, in dem der 15jährige Alexis Grigoropoulos am 6. Dezember von einem Polizisten erschossen worden war, wurde zu einer von Drogenbanden und politischen Hooligans beherrschten »No-Go-Area« umgefaselt.
Zugegeben, in der vergangenen Woche brannten allein in Athen sicherlich mehr Polizeiwagen und Luxusautos, wurden mehr Bankfilialen, Geldautomaten und Parteibüros zerstört, mehr Polizeiwachen und staatliche Einrichtungen angegriffen als in den zwölf Monaten davor in ganz Griechenland zusammen. Die Wut über die tödlichen Schüsse der Staatsgewalt auf einen der Ihren hat eine Welle der Gegengewalt ausgelöst, die auch für griechische Verhältnisse ungeheure Ausmaße angenommen hat. Ausmaße, die teilweise auch in unkontrollierte Zerstörungswut gegenüber Einzelhandelsgeschäften ausarteten oder auch Provokateuren Raum boten, zum Angriff auf eben solche Objekte anzustacheln, die sonst eher nicht zu den Zielen der anarchistischen und libertären Szene zählen.
Es gibt viele Arten zu töten, hat Bert Brecht einmal geschrieben und damit auf die tägliche Gewalt durch Hunger, Armut, Krankheit im kapitalistischen System angespielt. In Exarcheia kommt sicherlich noch die tägliche Gewalt der staatlichen Repressionkräfte gegen alles, was anarchistisch oder libertär aussieht, hinzu. Das Verschleppen und Verprügeln von schwarzgekleideten »Staatsfeinden« durch Uniformierte gehört zum Alltag. Im »Kiez der Widerständigen« herrscht eine derart martialische Präsenz von Sondereinheiten, daß das Viertel eher No-Go-Area für Schwarzgekleidete sein müßte.
Weil in den vergangenen Tagen aber eben nicht nur Hunderte von »Schwarzkappen«, sondern auch Tausende Schüler und Studierende auf der Straße waren, kamen auch die bürgerlichen Medien nicht umhin, ihr Augenmerk auch auf die soziale Hintergründe der Proteste zu richten. Bildungsmisere, Korruption und die Verarmung breiter Schichten wurden ausgemacht. Betroffen vor allem junge Menschen. Dabei wird so getan, als läge die Krise am falschen Management korrupter machtbesessener Politiker. Als würden 65-Stunden- Woche und flexible Arbeitsverhältnisse nicht europaweit zur Generation hochausgebildeter und prekär bezahlter Jungakademikertaxifahrer führen. Als wäre das gigantische Umverteilungsprogramm zugunsten des Kapitals nicht Ausdruck der Systemkrise, die den »globalen Kapitalismus« ergriffen hat.
»Das System macht keine Fehler, das System ist der Fehler.« Diese schlichte Tatsache ist in Griechenland weit über die Anarchisten hinaus verinnerlicht bei den Schülern, Studierenden und Arbeitenden, die nicht nur in diesen Tagen gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen kämpfen. Sie alle setzen sich jeweils mit ihren eigenen Methoden zur Wehr – mit Kundgebungen, Schulbesetzungen, Schweigemärschen, Demonstrationen, mit Streiks, Werksbesetzungen, mit Steinen und Brandsätzen, mit Kerzen und Blumen. Und auch wenn in den eigenen Reihen die Auseinandersetzung über die Wahl der »richtigen« Mitteln oft heftig geführt wird, ist man von der in Deutschland bis zum G-8-Gipfel noch geradezu reflexhaft geleisteten Distanzierung von Gegengewalt weit entfernt.
Der Widerstand gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen infolge kapitalistischer Konzentration, der Kampf für eine sozialistische Zukunft – auch wenn noch keiner weiß, wie genau diese aussehen soll – gehören zum Alltag in Griechenland. Allein in der Hauptstadt finden pro Tag statistisch gesehen 1,67 Demos statt. Mindestens eine wöchentlich hätte aufgrund ihrer Teilnehmerzahl auch das Interesse der Massenmedien im Ausland verdient. Eine Berichterstattung unterbleibt jedoch, da heftiger und mitunter auch erfolgreicher Widerstand gegen kapitalistische Umverteilung nicht im Sinne der Klasse ist, denen eben diese Medien gehören. Die bürgerlichen Medien in Griechenland selbst haben unterdessen erkannt, wo für die Herrschenden die eigentliche Gefahr in den Protesten liegt. Sie werden nicht müde zu betonen, daß es sich bei der Mehrzahl der Protestierenden um »keiner Partei oder Organisation angehörende« »Jugendliche ohne Zukunftschancen« handelt.
Die Angriffe auf Banken und Polizeiautos werden in den nächsten Tagen wieder auf das eher gewohnte Maß zurückgehen. Die Chance für Veränderungen im Land liegen in der beharrlichen Arbeit, an der Organisierung einer größtmöglichen Anzahl von Ausgebeuteten. Daran arbeiteten – wenn auch getrennt – die Kommunisten, die Linken, aber auch die Libertären und Anarchisten nicht erst seit den tödlichen Schüssen auf Alexis Grigoropoulos. Nur eben meist nicht im Rampenlicht der internationalen Aufmerksamkeit.